Der Wurm und sein Wirt – eine noch längst nicht aufgeklärte Beziehung
Von Monika Peichl
Würmer können Mensch und Tier zweifellos krank machen. In den Tropen und Subtropen sollen rund 200 Millionen Menschen an Bilharziose (Schistomiasis) leiden, einer Krankheit, die durch Saugwürmer hervorgerufen wird. Die Parasiten schädigen Nieren, Harnwege, Leber und Darm.
Katzen und Hunde werden von Band-, Haken- und Spulwürmern befallen. Sie schädigen den Darm, verursachen Durchfälle, können innere Organe beeinträchtigen, und massiv befallene Tiere magern stark ab, weil ihnen die Würmer die Nährstoffe entziehen.
Ist es daher richtig, zur Vorsorge regelmäßig – zum Beispiel alle drei Monate – zu entwurmen, wie man oft lesen kann? Dr. Doris Quinten-Gräf rät in ihrem Buch „Was fehlt denn meiner Katze?“ davon ab: „Außer bei Katzenbabys, die grundsätzlich nach dem Absetzen von der Mutter entwurmt werden sollten, ist eine regelmäßige Entwurmung nicht zu empfehlen. Durch eine mikroskopische Kotuntersuchung sollte zunächst festgestellt werden, ob die Katze tatsächlich Würmer in ihrem Darm beherbergt. Nur dann, wenn das Tier wirklich verwurmt ist, sollte ein Medikament gegeben werden. Unnötiges Entwurmen belastet die Leber.“ (1)
Vielleicht gibt es aber noch einen anderen Grund, nicht dauernd Wurmmittel zu verabreichen. Es könnte sich nämlich herausstellen, daß Würmer nicht nur von Übel sind, solange sie nicht überhand nehmen im Körper ihres Wirtes und ihn krank machen. Möglicherweise spielen Würmer im Immunsystem sogar eine wichtige Rolle. Allergologen diskutieren schon länger einen Zusammenhang von Wurmbefall im Kindesalter und Allergie-Entstehung: Menschen, die als Kind Würmer hatten, erkranken weniger häufig an Allergien als solche, die nie mit diesen Parasiten infiziert waren. (2)
Und dann gibt es auch noch das „afrikanische Rätsel“: Menschen in Lateinamerika und in Afrika sind gleichermaßen mit Helicobacter pylori befallen. Dieses Bakterium kann im Magen Krankheiten von der Schleimhautentzündung bis hin zum Krebs verursachen. In Afrika tritt Magenkrebs aber viel seltener auf als in Lateinamerika. Als mögliche Erklärung dafür wird diskutiert, daß gleichzeitiger Wurmbefall die Afrikaner vor diesen Folgen der Helicobacter-Infektion schützt.
Bei Mäusen ist das jedenfalls so, wie Wissenschaftler herausgefunden haben. Mäuse wurden im Versuch mit Helicobacter felis infiziert, einer der Helicobacter-Arten, die man bei Katzen findet. Eine Gruppe der Versuchstiere wurde zugleich auch mit Heligmosomoides polygyrus infiziert. Das ist eine Wurmart, die Mäuse befällt und zu den Nematoden gehört (Faden- und Spulwürmer). Die wurminfizierten Mäuse hatten deutlich weniger Entzündungserscheinungen durch Helicobacter als die Mäuse, die keine Würmer hatten. Das lag an der unterschiedlichen Immunreaktion. Die wurminfizierten Mäuse entwickelten mehr Immunzellen des Typs TH 2. Sind aber viele TH 2-Zellen vorhanden, kommt es zu gar keiner oder nur zu einer leichten Entzündung der Magenschleimhaut.
Sicherlich kann man aus den heute vorliegenden Daten längst nicht den Schluß ziehen, daß Würmer per se gesund sind und Katzen und Hunde lieber ein bißchen verwurmt sein sollten. Wurmbefall kann zum Beispiel Impfungen zunichte machen, was auch ein Grund ist, weshalb die Welpen vor den ersten Impfungen dagegen behandelt werden sollen.
Ausgewachsene Katzen aber brauchen nicht ständig entwurmt zu werden, schon gar nicht Wohnungskatzen. Gegen routinemäßige Entwurmung ausgewachsener Katzen spricht zudem, daß sie durchaus aus eigener Kraft mit Würmern fertig werden können. Für Tiere, die diese Parasiten nicht selbst in Schach halten können, besteht aber auch Hoffnung. Forscher arbeiten daran, den natürlichen Abstoßungsmechanismus im Darm zu ergründen. Ein Molekül namens IL-4 bewirkt, daß Würmer ausgestoßen werden, bevor sie Schaden anrichten können. Vielleicht ermöglichen diese Forschungen eines Tages ein Wurmmittel, das nicht so giftig und belastend ist wie die heute verfügbaren.
Nicht nur unnötiges Entwurmen, auch übergroße Hygiene kann schaden. Das wird zumindest in der humanmedizinischen Forschung immer deutlicher. Kinder, die auf dem Bauernhof leben und mit vielen Tieren und vielen Keimen in Berührung kommen, neigen weniger zu Asthma und Heuschnupfen. Und: Virusinfektionen im ersten Lebensjahr senken das Allergierisiko in der Kindheit um die Hälfte. In der Humanmedizin ist man sich ziemlich einig, daß das Immunsystem beschäftigt sein will, damit es nicht Amok läuft und zum Beispiel Allergien entstehen. Viren, Bakterien und Würmer sind Trainingspartner für das Immunsystem von Mensch und Tier. Die neueren Überlegungen über die Rolle von Parasiten in der körpereigenen Abwehr sollten uns nachdenklich machen. Auf jeden Fall sollten wir nicht routinemäßig alle drei Monate oder gar öfter mit Medikamenten auf bloß vermutete Würmer losgehen. Auch wenn gesagt wird, die heutigen Mittel seien gar nicht mehr so toxisch. Mag sein, daß sie nicht mehr so giftig sind wie die früheren, aber harmlos sind sie deshalb noch lange nicht.
(1) Anmerkung: Wurmbefall läßt sich oft nicht durch eine einzige Untersuchung feststellen, manchmal sind mehrere nötig, da die Würmer oder Wurmeier nicht ständig ausgeschieden werden.
(2) Die Verfasserin ist selbst ein Beispiel dafür: als Kind mal verwurmt gewesen, bis jetzt frei von Allergien.
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Letzte Aktualisierung: Montag, 25. Februar 2013
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